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Voraussetzungen für Kapitel 2
Wir betrachten im Folgenden ein System, an dessen Eingang das Signal $x(t)$ mit zugehörigem Spektrum $X(f)$ anliegt. Das Ausgangssignal bezeichnen wir mit $y(t)$ und dessen Spektrum mit $Y(f).$
Der mit „System” bezeichnete Block kann ein Teil einer elektrischen Schaltung sein oder ein komplettes Übertragungssystem, bestehend aus Sender, Kanal und Empfänger.
Für das gesamte Kapitel 2 soll gelten:
- Das System sei zeitinvariant. Führt das Eingangssignal $x(t)$ zum Signal $y(t)$, so wird ein späteres Eingangssignal gleicher Form, nämlich $x(t – t_0)$, das Signal $y(t – t_0)$ zur Folge haben.
- Es werden keine Rauschprozesse betrachtet, die bei realen Systemen stets vorhanden sind. Zur Beschreibung dieser Phänomene wird auf das Buch „Stochastische Signaltheorie” verwiesen.
- Es werden keine Detailkenntnisse über das System vorausgesetzt. Alle Systemeigenschaften werden im Folgenden allein aus den Signalen $x(t)$ und $y(t)$ bzw. deren Spektren abgeleitet.
- Insbesondere seien vorerst keine Festlegungen hinsichtlich der Linearität gegeben. Das „System” kann linear (Voraussetzung für die Anwendung des Superpositionsprinzips) oder nichtlinear sein.
- Aus einem einzigen Testsignal $x(t)$ und dessen Antwort $y(t)$ sind nicht alle Systemeigenschaften erkennbar. Daher müssen ausreichend viele Testsignale zur Bewertung herangezogen werden.
Nachfolgend werden wir solche Systeme näher klassifizieren.
Ideales und verzerrungsfreies System
Man spricht immer dann von einem idealen System, wenn das Ausgangssignal $y(t)$ exakt gleich dem Eingangssignal $x(t)$ ist: $$y(t) = x(t)$$
Anzumerken ist, dass es ein solches ideales System in der Realität nicht gibt, auch wenn man die stets existenten, in diesem Buch aber nicht betrachteten statistischen Störungen und Rauschvorgänge außer Acht lässt. Ein jedes Übertragungsmedium weist Verluste (Dämpfungen) und Laufzeiten auf. Selbst wenn diese physikalischen Phänomene sehr klein sind, so sind sie jedoch niemals 0. Deshalb ist es notwendig, ein etwas weniger strenges Qualitätsmerkmal einzuführen.
Ein verzerrungsfreies System liegt vor, wenn folgende Bedingung erfüllt ist: $$y(t) = \alpha \cdot x(t - \tau).$$ Hierbei beschreibt $α$ den Dämpfungsfaktor und $τ$ die Laufzeit.
Ist diese Bedingung nicht erfüllt, so spricht man von einem verzerrenden System.
Die folgende Grafik zeigt das Eingangssignal $x(t)$ und das Ausgangssignal $y(t)$ eines zwar nicht idealen, aber verzerrungsfreien Systems. Die Systemparameter sind $α$ = 0.8 und $τ$ = 0.25 ms.
Der Dämpfungsfaktor $α$ kann durch eine empfängerseitige Verstärkung um 1/ $α$ vollständig rückgängig gemacht werden, doch ist zu berücksichtigen, dass damit auch etwaiges Rauschen angehoben wird.
Dagegen kann die Laufzeit $τ$ aus Kausalitätsgründen nicht kompensiert werden. Es hängt nun von der Anwendung ab, ob eine solche Laufzeit subjektiv als störend empfunden wird. Beispielsweise wird man selbst bei einer Laufzeit von einer Sekunde die (unidirektionale) TV–Übertragung einer Veranstaltung noch immer als „live” bezeichnen. Dagegen werden bei einer bidirektionalen Kommunikation – zum Beispiel bei einem Telefonat – schon Laufzeiten von 300 Millisekunden als sehr störend empfunden. Man wartet entweder auf die Reaktion des Gesprächspartners oder beide Teilnehmer fallen sich ins Wort.
Quantitatives Maß für die Signalverzerrungen
Wir betrachten nun ein verzerrendes System anhand von Eingangs– und Ausgangssignal. Dabei setzen wir zunächst voraus, dass außer den Signalverzerrungen nicht zusätzlich noch ein für alle Frequenzen konstanter Dämpfungsfaktor $α$ und eine für alle Frequenzen konstante Laufzeit $τ$ wirksam sind. Bei den nachfolgend skizzierten Signalausschnitten sind diese Voraussetzungen erfüllt.
In der Grafik ist zusätzlich zu den Signalen $x(t)$ und $y(t)$ auch das Differenzsignal $$\varepsilon(t) = y(t) - x(t)$$ eingezeichnet. Als ein quantitatives Maß für die Stärke der Verzerrungen eignet sich zum Beispiel der quadratische Mittelwert dieses Differenzsignals: $$\overline{\varepsilon^2(t)} = \frac{1}{T_{\rm M}} \cdot \int\limits_{ 0 }^{ T_{\rm M}} {\varepsilon^2(t) }\hspace{0.1cm}{\rm d}t\hspace{0.4cm} \left( = P_{\rm V} \right).$$
Zu dieser Gleichung ist Folgendes zu bemerken:
- Die Messdauer $T_{\rm M}$ zur Bestimmung dieses Mittelwertes muss hinreichend groß gewählt werden. Eigentlich müsste diese Gleichung mit Grenzübergang formuliert werden.
- Der oben angegebene quadratische Mittelwert wird oft auch als der mittlere quadratische Fehler (MQF) oder als die Verzerrungsleistung $P_{\rm V}$ bezeichnet.
- Sind $x(t)$ und $y(t)$ Spannungssignale, so besitzt $P_{\rm V}$ die Einheit $„{\rm V}^2”$, das heißt, die Leistung ist nach obiger Definition auf den Widerstand 1 Ω bezogen.
- Mit der in gleicher Weise definierten Leistung $P_x$ des Eingangssignals $x(t)$ – also ebenfalls auf 1 Ω bezogen – kann das Signal–zu–Verzerrungs–Leistungsverhältnis angegeben werden:
$$\rho_{\rm V} = \frac{ P_{x}}{P_{\rm V}} \hspace{0.3cm} \Rightarrow \hspace{0.3cm} 10 \cdot \lg \hspace{0.1cm}\rho_{\rm V} = 10 \cdot \lg \hspace{0.1cm}\frac{ P_{x}}{P_{\rm V}}\hspace{0.3cm} \left( {\rm in \hspace{0.15cm} dB} \right).$$
Bei den in der Grafik dargestellten Signalen gilt $P_x$ = 4 ${\rm V}^2$, $P_{\rm V}$ = 0.04 ${\rm V}^2$ und damit 10 · lg $ρ_{\rm V}$ = 20 dB.
Berücksichtigung von Dämpfung und Laufzeit
Die auf der letzten Seite angegebenen Gleichungen führen dann nicht zu verwertbaren Aussagen, wenn zusätzlich eine Dämpfung $α$ und/oder eine Laufzeit $τ$ im System wirksam ist.
Die obere Grafik zeigt das gedämpfte, verzögerte und verzerrte Signal $$y(t) = \alpha \cdot x(t - \tau) + \varepsilon_1(t),$$ wobei im Term $ε_1(t)$ alle Verzerrungen zusammengefasst sind. Man erkennt an der grünen Fläche, dass das Fehlersignal $ε_1(t)$ relativ klein ist.
Sind dagegen die Dämpfung $α$ und die Laufzeit $τ$ unbekannt, so ist Folgendes zu beachten:
- Das so ermittelte Fehlersignal $ε_2(t) = y(t) – x(t)$ ist trotz kleiner Verzerrungen $ε_1(t)$ relativ groß.
- Anstelle der Verzerrungsleistung muss hier die Verzerrungsenergie betrachtet werden, da $x(t)$ und $y(t)$ energiebegrenzte Signale sind.
- Die Verzerrungsenergie erhält man, in dem die unbekannten Größen $α$ und $τ$ variiert werden und auf diese Weise das Minimum des mittleren quadratischen Fehlers ermittelt wird:
$$E_{\rm V} = \min_{\alpha, \tau} \int\limits_{ - \infty }^{ + \infty} {\left[y(t) - \left(\alpha \cdot x(t - \tau) \right) \right]^2}\hspace{0.1cm}{\rm d}t.$$
- Die Energie des gedämpften und verzögerten Signals $α · x(t – τ)$ ist unabhängig von der Laufzeit $τ$ gleich $α^2 · E_x$. Somit gilt hier für das Signal–zu–Verzerrungs–Leistungsverhältnis:
$$\rho_{\rm V} = \frac{ \alpha^2 \cdot E_{x}}{E_{\rm V}}\hspace{0.3cm}{\rm bzw.}\hspace{0.3cm}\rho_{\rm V}= \frac{ \alpha^2 \cdot P_{x}}{P_{\rm V}} .$$
- Die erste dieser beiden Gleichungen gilt für zeitlich begrenzte und damit energiebegrenzte Signale, die zweite für zeitlich unbegrenzte, also leistungsbegrenzte Signale.
Lineare und nichtlineare Verzerrungen
Man unterscheidet zwischen linearen und nichtlinearen Verzerrungen:
Ist das System linear und zeitinvariant (LZI), so wird es vollständig durch seinen Frequenzgang $H(f)$ charakterisiert, und es lässt sich Folgendes feststellen:
- Entspechend der $H(f)$-Definition gilt für das Ausgangsspektrum: $Y(f)$ = $X(f) · H(f)$. Daraus folgt, dass $Y(f)$ keine Frequenzanteile beinhalten kann, die nicht auch in $X(f)$ enthalten sind.
- Die Umkehrung besagt: Das Ausgangssignal $y(t)$ kann jede Frequenz $f_0$ beinhalten, die bereits im Eingangssignal $x(t)$ enthalten ist. Voraussetzung ist also, dass $X(f_0) ≠$ 0 gilt.
- Bei einem LZI–System ist die absolute Bandbreite des Ausgangssignals $(B_y)$ nie größer als die des Eingangssignals $(B_x)$:
$$B_y \le B_x .$$
In der oberen Grafik gilt $B_y$ = $B_x$. Lineare Verzerrungen liegen vor, da sich in diesem Frequenzband $X(f)$ und $Y(f)$ unterscheiden. Eine Bandbegrenzung $(B_y < B_x)$ ist eine Sonderform linearer Verzerrungen, die im Kapitel 2.3 ausführlich behandelt werden.
Die untere Grafik zeigt ein Beispiel für nichtlineare Verzerrungen, da $B_y$ größer als $B_x$ ist. Für ein solches System kann kein Frequenzgang $H(f)$ angegeben werden. Welche Beschreibungsgrößen für nichtlineare Systeme geeignet sind, wird im Kapitel 2.2 dargelegt.
Bei den meisten realen Übertragungskanälen treten sowohl lineare als auch nichtlineare Verzerrungen auf. Für eine ganze Reihe von Problemstellungen ist jedoch die klare Trennung der beiden Verzerrungsarten essentiell. In Kammeyer, K.D.: Nachrichtenübertragung. Stuttgart: B.G. Teubner, 4. Auflage, 2004. wird ein entsprechendes Ersatzmodell angegeben.